Seit September 2022 sind Pflegeeinrichtungen gesetzlich verpflichtet, tarifgerechte Löhne zu zahlen, um die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern. Doch wie wirken sich diese gesetzlichen Neuregelungen tatsächlich aus? Das Institut Arbeit und Technik (IAT/Westfälische Hochschule Gelsenkirchen) hat diese Bestimmungen genauer untersucht.
Nach den Erkenntnissen der IAT-Forscherinnen Julia Lenzen und Michaela Evans-Borchers kann das Ziel einer Lohnaufwertung in der Langzeitpflege durchaus erreicht werden. „Im Vergleich mit dem durchschnittlichen Stundenlohn von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland ist die Langzeitpflege in der Entlohnung von Fachpersonal mittlerweile gut aufgestellt. Es werden aber auch Grenzen der gesetzlichen Neuregelungen, gerade angesichts der hohen Teilzeitquoten, mit Blick auf die avisierte Zielsetzung - die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs - erkennbar. Notwendig ist, die Chancen kollektivvertraglicher Gestaltung von präferierten Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeitszeit) auch jenseits der Entlohnung stärker zu fokussieren“, raten die Autorinnen.
Grundsätzlich stehen Pflegeeinrichtungen und -diensten drei Möglichkeiten zur Verfügung: Erstens können sie sich durch Tarifbindung oder die Bindung an kirchliche Arbeitsrechtsregelungen verpflichten. Zweitens besteht die Option der "Tariforientierung", und drittens können sie das "regional übliche Entlohnungsniveau" anwenden. Allerdings entfalten diese beiden letzten Regelungen nicht in jedem Fall eine direkte und verbindliche Wirkung für alle Beschäftigten, da einzelne Lohnbestandteile möglicherweise nicht erfasst werden. Eine Angleichung der Löhne zwischen Krankenhäusern und Langzeitpflegeeinrichtungen gestaltet sich allein aufgrund der unterschiedlichen Refinanzierungsgrundlagen derzeit fraglich. Darüber hinaus gibt es keine gesetzliche Regelung, die erhebliche Lohndifferenzen innerhalb einer Einrichtung und innerhalb einer Qualifikationsgruppe ausschließt.
Die Anwendung des regional üblichen Entlohnungsniveaus erweist sich als besonders problematisch, da dies weiterhin zu ungleicher Bezahlung führen kann. Die betroffenen Personen haben oft keine Möglichkeit, ihre Löhne zu überprüfen, da die Transparenz bezüglich des durchschnittlichen Lohns in der Einrichtung fehlt. Der Pflegemindestlohn bleibt trotz der gesetzlichen Regelungen ein zentraler Eckwert für die Lohnentwicklung, da das "regional übliche Entlohnungsniveau" keine wirkliche Lohnuntergrenze festlegt. Unterschiede zwischen den Bundesländern bezüglich Tarifbindung und der Anwendung unterschiedlicher Optionen könnten bestehende regionale Unterschiede in Bezug auf die Attraktivität der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen im Pflegebereich verstärken.
Zusammenfassend betonen die Autorinnen, dass der Anreiz der Entlohnung nicht isoliert betrachtet werden sollte, sondern in Verbindung mit anderen Faktoren wie einer respektvollen Führungskultur, einem starken Teamgeist und einer hohen Qualität der Pflegearbeit. Dazu gehören auch verschiedene Aspekte der Arbeitsbedingungen, darunter die Personalausstattung, der Personal- und Qualifikationsmix, die Gestaltung der Arbeitszeit, die Möglichkeiten der Entlastung und Professionalisierung durch Digitalisierung sowie erweiterte Verantwortungsbereiche, berufliche Weiterbildung, berufliche Aufstiegschancen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Kontakt für wissenschaftliche Anfragen:
Michaela Evans-Borchers, Direktorin des IAT-Forschungsschwerpunktes A&W:
Julia Lenzen:
Originalpublikation:
Lenzen, J. & Evans-Borchers, M. (2024): Tarifgerechte Entlohnung in der Pflege im Spiegel der Attraktivität des Pflegeberufs. Forschung Aktuell, 2024 (04). Gelsenkirchen: Institut Arbeit und Technik, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen. https://doi.org/10.53190/fa/202404
Zur Pressemitteilung: https://www.iat.eu/medien/2024/tarifgerechte-loehne-in-der-pflege-aber-nur-begrenzt-09042024.html
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