Fachteil | Pflegewissenschaft | Ausgabe 6-2023 | 25. Jahrgang | hpsmedia, Hungen
Datenschutz im Kontext digitaler Plattformen
in der Gesundheits- und Pflegebranche
Martina Saße1
Digitale Plattformen tangieren zunehmende die Arbeits- und Lebenswelt von in der Pflege- und Gesundheitswirtschaft Tätigen.
Neben den Veränderungen in Arbeitsprozessen, stellt sich die Frage nach Aspekten des Datenschutzes und den für die Praxis
abzuleitenden Maßnahmen.
Data protection in the context of digital platforms in the health an care industry
Digital platforms are increasingly affecting the working an living environment of those working in the care and healthcare in-
dustry. In addition to the changes in work progress, the question of aspects of data protection and the measures to be derived
for practice arises.
Korrespondenzadresse
Martina Saße
D-Ahlen / Westfalen
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Eingereicht am 26.07.2023
Akzeptiert am 05.12.2023
DOI: 10.3936/5058
1 Dipl. Päd., Dipl. Geront.; Doktorantin Universität Vechta und Innovations- und Digitalisierungsberaterin
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Fachteil | Pflegewissenschaft | Ausgabe 6-2023 | 25. Jahrgang | hpsmedia, Hungen
Digitale Plattformen spielen als Teil des digitalen Ökosystems1 heitsbezogenen Daten handelt es sich um sensible, personen
zunehmend - sicher auch verstärkt durch äußere Faktoren wie bezogene Daten, die es vor dem Zugriff unbefugter Dritter zu
die SARS-CoV-2 Pandemie - eine bedeutende Rolle in allen Wirt schützen gilt. Das ?Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz
schafts- und Lebensbereichen.2 Auch im Bereich des Dienst Schleswig-Holstein? legt für das anerkannte Datenschutzgütesie
leistungssektors Gesundheit und Pflege wird diese Entwicklung gel wesentliche Punkte fest.10 So müssen sich patientenbezogene
konstatiert und von einer ?Uberisierung? gesprochen.3 Die fort und sonstige Daten in einer verschlüsselten Datenbank befinden.
schreitende Durchflutung mit neuen technologischen Innovatio Hüber und Egbert formulieren für den Bereich Datenschutz und
nen gilt als Charakteristikum einer modernisierten Gesellschaft. Datensicherheit sieben Ziele. Zu benennen sind hier Vertraulich
Neue Technologien prägen als ubiquitäres Phänomen das Leben keit, Datenintegrität, Datenverfügbarkeit, Transparenz, Interve-
und Handeln von Individuen und Gesellschaften dabei zuneh nierbarkeit, Nichtverkettbarkeit von Daten (ULD 2010) und Au-
mend bewusst wie unbewusst.4 thentizität/ Nichtbestreitbarkeit (BSI 2013).11 Datenschutz hat
den Sinn und verfolgt den Zweck, Regelungen bereitzuhalten, die
Neben den Faktoren ökonomischer Wettbewerb im Pflegesek sicherstellen, dass das Recht auf informelle Selbstbestimmung
tor, finanzielle Knappheitsbedingungen hervorgerufen durch die bewahrt wird, zugleich aber ein Umgang mit personenbezogenen
Zugzwänge des SGB XI, einer Wissensexplosion im Pflegebereich Daten rechtmäßig erfolgen kann.12
einhergehend mit umfänglichen Regelungen von Seiten der auf
sichtsführenden Behörden und entwickelten Expertenstandards, Mit in die Überlegung eingeschlossen werden muss, wie die
welche eine effiziente Verarbeitung des Datenmaterials erfordern, Sicherheit der Zupflegenden durch die Unterstützung von Ange
sind es vor allem die Möglichkeiten der technischen Entwicklung boten über digitale Plattformen gefördert werden kann, ohne für
an sich, die ihre Integration in die Lebenswelt von Menschen mit die Pflegenden (professionell wie informell) eine Überwachungs
Pflegebedürftigkeit finden können.5 So lassen sich digitale Platt atmosphäre zu schaffen. Die gewonnenen Daten müssen ihre
formen zunehmend auch im Gesundheits- und Sozialsektor fin Verwendung in der Unterstützung des Pflegeprozesses finden
den. Vielfältige Beispiele zeigen sich im Pflegesektor im Bereich und nicht z.B. der Leistungsbeurteilung durch den Arbeitgeber
des digitalen Entlassmangements, des Wundmanagements, der (bei professionell Pflegenden) zuträglich werden.13 Generell ist
Personaleinsatzplanung und der digitalen Unterstützung der die Sinnhaftigkeit und Legitimität der immer stärker zunehmen
Pflegedokumentation. den Datendetektion gesundheits- und alltagsbezogener Parame
ter zu reflektieren. Darüber wird häufig außer acht gelassen, dass
Im Zuge der Nutzung von digitalen Plattformen werden bishe dieses quantitative Einzelwissen keinerlei Aussagekraft bezüglich
rige Wertschöpfungsketten zu dynamischen und von mannig der Gesamtsituation pflegebedürftiger Menschen hat, die Lebens
fachen Akteuren verwendeten Wertschöpfungsnetzwerken mit qualität aus alleiniger Detektion der Parameter nicht erhöht und
einem automatisierten Austausch von Daten. Für den Gesund- in den seltensten Fällen eine unmittelbare Handlungsrelevanz ab
heits- und Pflegesektor gilt die Besonderheit, dass es sich um per geleitet werden kann.14 Den eigentlichen Vermögenswert eines
sonenbezogene Daten mit einem hohen Schutzniveau handelt.6 Unternehmens, aber auch einer digitalen Plattform, bilden Daten
Diese Daten sind sowohl auf Seiten des Nutzenden der personen und nicht das Produkt selbst. Aus diesem Grund ist bei der Nut
bezogenen Dienstleistung ?Pflege?, als auch auf Seiten des An zung von Geschäftsmodellen mit digitalen Aspekten und digitalen
bietenden, etwa des ambulanten Dienstes, des Pflegeheimes, der Plattformen zu bedenken, dass aus Wettbewerbsgründen die Ho
Beratungsstelle oder der Pflegekasse in Form von Prozessdaten heit über eigene Daten nicht aufgegeben werden darf.15
oder ?Produktionsdaten? zu benennen.7 Ausschlaggebend für die
Effizienz von digitalen Plattformen sind vernetzte Systemstruk Neben den Gedanken zum Datenschutz, ist auch der Aspekt der
turen, welche diese sensiblen Daten verarbeiten und vernetzen. rechtlichen Absicherung von Pflegehandlungen im Rahmen des
Die Ausweitung des Leistungsspektrums von digitalen Plattfor PflBG aus dem Jahr 2017 zu betrachten. Hier wurden erstmals
men, die sensible Rolle des Datenschutzes und die Nutzung der eine Grundlage einer professionellen Handlungsautonomie von
gesammelten Daten für die Zwecke und Intentionen der Platt Teilbereichen beruflicher Pflegearbeit herausgestellt.16 Bereits bei
formbetreiber sind zentrale Aspekte der Datenschutzdiskussion der Entwicklung von Angeboten in Form von digitalen Plattformen
im Bereich E- Health8 ist die Sicherheit, wie der Schutz vor unerlaubten Zugriff und ex
ternen Angriffen oder die Gewährleistung einer unterbrechungs
Die beschriebene Problematik der Verwaltung von personen freien Erbringung der Leistung, ein Aspekt der Gesamtlösung und
bezogenen Gesundheits- und Pflegeinformationen in einem ver kein Hintergrundthema.17 Der Bereich der IT- Sicherheit wird nur
netzten System erfordert intensive Maßnahmen im Bereich des im Design des Gesamtsystems realisierbar sein und dabei auch
Datenschutzes und ein hohes Sicherheitsniveau der gesamten neue Lösungsansätze als in herkömmlichen Systemen entwickeln
Dokumentations- und Kommunikationsumgebung.9 Bei gesund müssen. Zu bedenken ist hierbei, dass bedingt durch die Vernet
zung der einzelnen Involvierten (bspw. pflegebedürftige Person,
1 Die Trias digitale Plattformen, digitales Ökosystem und Plattformökonomie bauen
aufeinander auf. Digitale Plattformen stellen den Verknüpfungsort für die Interak 10 Vgl. www.datenschutzzentrum.de/guetesiegel Beispielhaft hierfür ist die Chro-
tion dar. Das digitale Ökosystem basiert auf digitalen Plattformen und schließt alle nic Care Application (CCA) des Pharmakonzerns AstraZeneca. Die entsprechenden
Involvierten des Plattformumfeldes mit ein. Die Plattformökonomie beschreibt einen patientenidentifizierenden und medizinischen Informationen werden mit patienten
zukünftigen, branchenübergreifenden Wandel der Wirtschaftszweige hin zu digitalen bezogenen Zufallszahlen zusätzlich symmetrisch verschlüsselt. Durch dieses Ver
Ökosystemen. Vgl. Drewel (2021), S. 15. schlüsselungssystem ist es Unbefugten nicht möglich an die sensiblen Patientendaten
2 Vgl. Hübner (2022), S.79. zu gelangen. Zusätzlich ist der CCA Application Server für die Verwendung von SSL
3 Vgl. Otto (2017), S. 2. (Verschlüsselungstechnologie) vorkonfiguriert, so dass eine zertifikatsbasierte Client
Authentifizierung möglich ist (Vgl. Heydenreich u.a. (2017), S. 86f.
4 Vgl. Hülsken-Giesler (2021), S. 299. Vgl. Hübner (2022), S.79.
11 Vgl. Hübner; Egbert (2017), S. 219.
5 Vgl. Hielscher u.a. (2015) (b), S 6. Vgl. Hübner (2022), S. 80.
12 Vgl. weiter Leupold u.a. (2016), S. 64.
6 Vgl. Leupold u.a. (2016), S. 62.
13 Vgl. Köster-Steinbach, I.; Weigang, M. (2019), S. 21. Vgl. weiter Leupold u.a. (2016),
7 Peschke erarbeitet diese Teilung als Aspekt der Industrie 4.0. Im Bezug auf per S. 48.
sonenbezogene Dienstleistung meint ?Produktionsdaten? wesentliche Elemente der
Strukturqualität wie beispielsweise Mitarbeitereinsatz und Wareneinsatz. Vgl. Pechke; 14 Elsbernd u.a. (2015), S. 73.
Eckhardt (2019). Vgl. Hübner (2022), S.80. 15 Vgl. Pflaum; Schulz (2019), S. 18.
8 Vgl. Röper; Schröder (2020), S. 573. Vgl. Leupold u.a. (2016), S. 62. 16 Vgl. Hülsken-Giesler (2018), S. 128.
9 Heydenreich u.a. (2017), S. 86. Vgl. weiter Leupold u.a. (2016), S. 62. 17 Vgl. Peschke (2019).
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Anbieter, Plattformbetreiber, Dienstleister, Pflegekasse usw.) die Literatur
Sicherheit des gesamten IT-Systems von dem am wenigsten gesi
? Brückner, A.; Herweck, R. (2021): Digitalisierung aus Sicht der Pflegebedürf
cherten Partner abhängig ist.18 In einem derartigen Zusammenar
tigen und pflegenden Angehörigen. In: ARCHIV für Wissenschaft und Praxis
beitsmodell ist ein gegenseitiges Vertrauen unabdingbar und neue der Sozialen Arbeit. 1/2021. Lambertus Verlag, Freiburg. Seite 52-59.
Konzepte, Architekturen und Standards im Bereich der IT-Sicher-
? Elsbernd, A.; Leymeyer, S.; Schilling, U. (2015): Zur Diskussion. Pflege und
heit sollten dabei helfen, eine Vertrauensbasis zu schaffen.19 In
Technik- Herausforderungen an ein interdisziplinäres Forschungsfeld. In: Pfle
Anbetracht der Dominanz globaler Technikkonzerne wird für eine, ge & Gesellschaft. 1/2015. Beltz, Weinheim. Seite 67-76.
möglichst auf europäischer Ebene angelegte, Standardisierung
? Heydenreich, F.; Guthoff-Hagen, S.; Tonagel, B. (2017): CCA-E-Health- An
von Nutzeroberflächen, verbunden mit einem Gütesiegel welches
wendung zur übergreifenden Versorgung multimorbider Patienten. In: Dues
auf entsprechende Qualitätsmerkmale wie Datenschutz, Daten berg, F. (Hrsg.) (2017): e-Health 2017. Informations- und Kommunikations
sicherheit und Nutzerfreundlichkeit geworben.20 technologien im Gesundheitswesen. Medical future Verlag, Solingen. Seite
82-87.
Von der Europäischen Union und dem Bundesministerium für ? Hübner, U.; Egbert, N. (2017): Telepflege. In: Bechtel, P.; Smerdka-Arhelger,
Arbeit und Soziales geförderte Projekte, wie beispielsweise das I.; Lipp, K. (Hrsg.) (2017): Pflege im Wandel gestalten- Eine Führungsaufgabe.
Projekt ?Zukunftszentren Pulsnetz.de MuTiG? leisten in diesem 2. Auflage. Springer, Berlin. Seite 211-224.
Kontext einen Beitrag zur fundierten Informationsvermittlung in ? Hülsken-Giesler, M.; Daxberger, S. (2018): Robotik in der Pflege aus pfle
Bezug auf digitale Anwendungen im Pflegesektor. Auf Grundlage gewissenschaftlicher Perspektive. In: Bendel, O. (Hrsg.) (2018): Pflegeroboter.
dieser Wissensbasis erscheint eine fundierte Entscheidungsfin Springer, Wiesbaden. Seite 125-140.
dung für Anbietende von Pflegeleistungen sowie in der Pflege ? Köster-Steinebach, I.; Weigand, M. (2019): Digitalisierung und Patientensi
brache tätigen Personen in Bezug auf die Implementierung und cherheit in der Pflege: Schwerpunkt Krankenhaus. In: Elmer, A.; Matusiewicz,
Anwendung digitaler Plattformen möglich. D. (Hrsg) (2019): Die Digitale Transformation der Pflege. Medizinisch Wissen
schaftliche Verlagsgesellschaft. Seite 21-36
? Leupold, A.; Glossner, S.; Peintinger, S. (2016): eHealth: Rechtliche Rahmen
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(Hrsg.) (2016): eHealth in Deutschland. Anforderungen und Potenziale innova
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? Peschke, F.; Eckhardt, C. (2019): Flexible Produktion durch Digitalisierung.
Entwicklung von Use Cases. Hanser Verlag, München.
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? Röper, C.; Schröder, J. (2020): Digitale Plattformen in der Pflege. In: NDV
Zeitschrift Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 12/2020.
Berlin. Seite 568-573.
18 Vgl. Peschke (2019).
19 Peschke (2019), S. 104.
20 Vgl, Brückner; Herweck (2021), S. 55.
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